Ohne Zucker funktioniert unser Körper nicht. Wir brauchen ihn, um uns zu bewegen und sogar, um zu denken. Diese Tatsache ist jedoch kein Freifahrtschein für Schokoladen-, Keks- und Kuchenorgien: der Körper kann Zucker auch aus Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten oder Vollkornprodukten gewinnen. Er spaltet einfach jede Form von Kohlenhydraten so lange, bis Glukose, also Traubenzucker, herauskommt. Deren Moleküle wandern dann durch die Wand des Dünndarms ins Blut und wandern von dort in die Körperzellen, wo sie von den Mitochondrien in die Energiewährung ATP umgewandelt werden. Der Türsteher, der die Glukose in die Zellen lässt, heißt Insulin, ein Hormon, das die Bauchspeicheldrüse herstellt.
Bei Diabetes mellitus gelangt der Zucker nicht mehr oder nicht mehr ausreichend in die Zellen, weil die Bauchspeicheldrüse entweder gar kein Insulin produziert (Diabetes Typ-1) oder die Zellen schlechter auf Insulin ansprechen. Die „Tür“ bleibt also zu und der Zucker im Blut (Diabetes Typ-2). Das Problem: Von einer Diabetes-Erkrankung spürt man in der Regel lange nichts. Es gibt kein Alarmsystem, zum Beispiel in Form eines Schmerzreizes, das vor zu viel Zucker im Blut warnt.
Dass er sich nicht über Symptome bemerkbar macht, heißt aber nicht, dass ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel harmlos ist. Im Gegenteil. Kursiert ständig zu viel Zucker im System, kann er Organe, Nerven und Gefäße angreifen – mit schwerwiegenden Folgen.
Bei Diabetes-Patienten kann einerseits zu viel Zucker im Blut sein, zum Beispiel, wenn die verabreichte Insulindosis zu niedrig und die verzehrten Lebensmittel zu zucker- oder stärkehaltig waren. Dann spricht man von Überzucker. Der Diabetes-Patient fühlt sich müde und schlapp, ist durstig, weil die Nieren versuchen, den Zucker aus dem Körper zu spülen, und muss häufig zur Toilette. Im schlimmsten Fall fällt er oder sie in ein diabetisches Koma.
Bei einer Unterzuckerung, zum Beispiel, weil der Patient zu viel Insulin gespritzt hat, wird die Haut kalt und fahl, Schweiß bricht aus, man zittert, das Herz rast. Auch ein pelziges Gefühl im Mund oder Kribbeln in den Fingern können Anzeichen für Unterzucker sein. Steuert man nicht gegen, beispielsweise mit schnell verfügbaren Kohlenhydraten wie Traubenzucker oder stark gesüßten Getränken, besteht die Gefahr, bewusstlos zu werden.
Bei zu viel Zucker im Blut ist unter anderem die Gefahr höher, dass die Blutgefäße verstopfen. Das geschieht, wenn die Aderwände zunächst immer dicker und unelastischer werden und sich sogenannte Plaques, Ablagerungen aus Kalk und Fett, in den Gefäßen absetzen. Letztere werden immer enger, das Blut, das das Herz und andere Organe mit Nähr- und Sauerstoff versorgt, kommt immer schwerer durch.
Gerinnt das Blut, weil es an einer dieser Engstellen hängenbleibt, kann sich ein Pfropfen bilden, eine sogenannte Thrombe. Die reißt irgendwann ab und schwimmt mit dem Blut durch die Adern, bis sie in einem feinen Blutgefäß stecken bleibt und es verschließt. Dadurch kann das Gewebe absterben, das von diesem System beliefert wird, weil es von der Versorgung abgeschnitten ist.
Betroffene Diabetiker bemerken dies oft lange nicht, weil auch die Nerven (siehe unten) häufig nicht mehr richtig arbeiten und das Schmerzempfinden gestört ist. Im schlimmsten Fall muss dann der betroffene Zeh, Fuß oder andere Körperteil amputiert werden. Das verminderte Schmerzempfinden hat auch zur Folge, dass Diabetespatienten Druckstellen, zum Beispiel durch zu enge Schuhe, nicht bemerken und sich aus einer kleinen Blessur ein Geschwür oder eine tiefe Wunde entwickelt – die aufgrund der Unterversorgung schlecht oder gar nicht heilt.
Verstopfen die winzigen Äderchen in den Augen (Kapillaren) oder werden sie durchlässig, kann das Sehvermögen aus verschiedenen Gründen (z. B. die Netzhaut ist vernarbt oder löst sich, Flüssigkeit dringt in die Makula – die Stelle des schärfsten Sehens auf der Netzhaut – ein etc.) nachlassen bis hin zur Erblindung.
Lebensgefährlich wird es, wenn die Thrombe sich in einem Äderchen festsetzt, dass das Herz (Herzkranzgefäße) oder das Gehirn (Hirnarterie) versorgt. Dann drohen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Diese mangelnde Versorgung des Körpers macht sich auch in den Nervenbahnen bemerkbar. Sie bekommen zu wenig Nährstoffe und Sauerstoff und sterben langsam ab. Meist beginnt dieser Prozess an den Füßen, zunächst mit einem leichten Kribbeln, dann mit stechenden, brennenden Schmerzen. Schließlich kommt das Taubheitsgefühl: zum Beispiel können Betroffene Hitze und Kälte nicht mehr richtig spüren. Sind auch die Nervenbahnen der Schweißdrüsen geschädigt, trocknet die Haut aus, es entstehen Risse und Schwielen. Besondere Aufmerksamkeit sollten Ärzte und Patienten darauf richten, denn bei Diabetikern heilen Wunden oft schlecht.
„Verhungernde“ Nerven können sich in selteneren Fällen auch im Magen-Darm-Trakt bemerkbar machen – in Form von Blähungen, Verstopfung, Bauchweh, Übelkeit oder Durchfall. Darüber hinaus leiden die Sexualorgane – und mit ihnen ihre „Besitzer“: Nervenschäden können bei Männern zu Erektionsstörungen führen, bei Frauen wird die Scheide nicht mehr feucht. Das liegt zum einen daran, dass die Organe selbst nicht mehr versorgt werden. Zum anderen wird der sexuelle Reiz nicht mehr ins Gehirn übertragen, das folglich auch keinen Befehl zur vermehrten Durchblutung oder Befeuchtung geben kann.
Aufgabe der Nieren ist es, Gifte und Abfallstoffe aus dem Blut zu filtern. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das auch mit überschüssigem Zucker im Blut. Doch die Zuckermoleküle bleiben in feinsten Nierenstrukturen hängen und lassen das Gewebe aufquellen. Die „Löcher“ des Nierenfilters werden größer und lassen auch Stoffe durch, die der Körper eigentlich benötigt.
Arbeiten die Nieren nicht mehr richtig, reagiert der Körper mit ansteigendem Blutdruck. Warum das so ist, wird derzeit noch erforscht. Der Blutdruckanstieg belastet jedoch wiederum die Nieren und lässt sie umso schneller veröden … ein Teufelskreis beginnt, der schlimmstenfalls in Nierenversagen und an der Dialyse endet.
Nicht nur Alkohol kann die Leber schädigen, auch ein dauerhafter Zuckerüberschuss im Blut. Denn die Leber speichert Zucker und baut das, was zu viel ist, in Fett um, das das Organ einlagert. Eine sogenannte „nicht-alkoholische Fettleber“ entsteht.
Zudem steigt der Triglyceridspiegel im Blut. Das sind Fette, die dem Körper unter anderem als Energiedepot und -lieferant dienen. Bei Diabetes-Patienten kursieren aber meist ohnehin (unbehandelt) schon zu viele Triglyceride im System, da auch der Fettstoffwechsel Insulin braucht, um richtig zu funktionieren. Erhöhte Werte lassen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigen.
Die gute Nachricht ist: Diabetes-Patienten sind solchen Folgeerkrankungen hilflos ausgeliefert, noch ausschließlich von Insulin-Spritzen, Tabletten und einer ärztlichen Therapie abhängig. Sie können aktiv dazu beitragen, die Folgen eines dauerhaft zu hohen Blutzuckerspiegels unter Kontrolle zu halten oder zu verzögern. Messen Sie beispielsweise regelmäßig und gewissenhaft Ihre Blutzuckerwerte und protokollieren Sie sie. Zudem hilft es, auf Ernährung und Gewicht zu achten und sich regelmäßig zu bewegen. Und: gehen Sie regelmäßig zur ärztlichen Kontrolluntersuchung. Werden Folgekrankheiten frühzeitig erkannt, lassen Sie sich eher und effektiver behandeln.