„Diabetes ist gut in Schach zu halten“

27. September 2022
„Diabetes ist gut in Schach zu halten“

Zugegeben, bei einer Diabetes-Diagnose bekommen die Betroffenen erst einmal einen Riesenschreck. Fragen wie „Muss ich jetzt mein ganzes Leben lang Medikamente nehmen oder sogar Insulin spritzen?“ können Patienten zunächst zutiefst verunsichern. Die gute Nachricht: „Wir haben es selbst in der Hand, sowohl eine Zuckererkrankung in den Griff zu bekommen als auch unser Diabetes-Risiko deutlich zu reduzieren“, sagt der Internist, Ernährungsmediziner und Diabetologe Dr. Matthias Riedl. Im Interview erklärt der Experte, wie das gelingen kann.

Diabetiker bleibt Diabetiker – das ist die vorherrschende Meinung der meisten Ärzte. Warum sehen Sie das anders?

Diese Aussage stimmt nur für Typ-1-Diabetes. Aber auch diese Form profitiert von der richtigen Ernährung enorm. Dieses Potential ist bei Typ-2-Diabetes jedoch fast völlig unangetastet. Übergewicht bzw. Adipositas gelten als die wichtigsten Ursachen, und zwar in Form einer kalorienreichen Ernährung mit vielen einfachen Kohlenhydraten und viel ungesundem Fett. Diabetes ist eine Kohlenhydrat-Stoffwechselstörung. Das wurde bisher zu wenig beachtet. Mit der richtigen Ernährung lässt sich Diabetes Typ 2 nicht nur kontrollieren – er ist auch verbesserbar. Und zwar je eher man anfängt desto größer die Chance. Ernährungstherapie ist also der erste Behandlungsschritt bei diesem Diabetestyp. Und genau das wird noch viel zu wenig gemacht.

Dennoch verschreiben viele Mediziner nach der Diagnose Typ-2-Diabetes Insulin. Warum?

Fast jeder dritte Diabetiker bekommt initial noch Insulin. In meinen Augen ein Kunstfehler.  Weil Insulin das Gewicht steigert und damit die Krankheitsursache verstärkt. Und mehr Gewicht verlangt mehr Insulin. Ein Teufelskreis. Ein Grund dafür mag sein, dass der Diabetologe mehr Honorar für einen mit Insulin behandelten Diabetiker bekommt. Ein Fehlanreiz!

Wie lässt sich ein Diabetes denn in den Griff bekommen?

Zuallererst muss die Ernährung möglichst in einer Schwerpunktpraxis für Ernährungsmedizin analysiert und gecoacht werden. Es geht nicht nur um die Gewichtsreduktion. Schnell resorbierbare Kohlenhydrate müssen zu Gunsten von Proteinträgern und Gemüse ersetzt werden. Das Ganze muss lecker sein, sonst klappt es nicht. Wichtige Hilfestellung gibt auch unsere Ernährungstherapie-App MyFoodDoctor. Die haben wir ganz konkret für diesen Zweck entwickelt. Sie analysiert die Ernährungsgewohnheiten ihrer Nutzer und stellt klar, wo die relevanten Fehler liegen. Dann kann der Nutzer mit den Methoden, die die App vorschlägt, ganz individuell an seinen Essgewohnheiten arbeiten. Ganz so, als wäre er Patient bei mir. Und wenn es doch Medikamente sein müssen, dann die modernen sogenannten SGLT-2-Hemmer und die Inkretinmimetika. Sie helfen auch beim Abnehmen. Bewegung unterstützt natürlich den Erfolg.

Wie funktioniert eine Anti-Diabetes-Ernährung genau?

So wie für jedes Lebewesen gibt es auch für Menschen eine artgerechte Ernährung und die ist gemüsebasiert: Essen wir bis zu 500 Gramm Gemüse am Tag, steigt der gesundheitliche Effekt. Gemüse und Nüsse haben eine antidiabetische Wirkung und enthalten wenig Zucker. Mit der richtigen Eiweißmenge, die den Blutzucker auch nicht belastet, kann man Diabetes in Schach halten und den Blutzucker glätten. Ich empfehle 20 bis 30 Gramm Eiweiß pro Mahlzeit – das entspricht in etwa 100 Gramm Lachs, Linsen, Kichererbsen oder Weizenkeimen. Nach einer Gewichtsreduktion sollten gesunde Mahlzeiten langfristig in den Alltag integriert werden (mehr dazu im Kasten).

Wie viele Menschen könnten bei entsprechender Gewichtsabnahme ihre Blutzuckerwerte wieder auf Normalniveau bringen?

Etwa acht Millionen Menschen leiden in Deutschland aktuell an Diabetes. Dazu kommen schätzungsweise noch zwei Millionen, bei denen die Krankheit noch nicht diagnostiziert wurde. Eine Gewichtsabnahme wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Blutzuckerwerte verbessern und sogar auf Normalniveau bringen. Da es sich bei den Erkrankten zu 95 Prozent um den lebensstilbedingten Typ-2-Diabetiker handelt, wäre die Erfolgsquote sehr hoch. Möglich ist es laut Studien bei über 80 Prozent der Betroffenen, den Diabetes zu besiegen – wir sprechen von der sogenannten Remission – oder zumindest die aufwendige Insulintherapie loszuwerden. Das ist auch ein enormer Gewinn an Lebensqualität und spart überdies Kosten.

Was bedeutet eine Remission genau?

Mit dem Begriff Remission bezeichnen Mediziner einen Status, in dem die Symptome einer bestimmten Krankheit zurückgedrängt sind. Das heißt, die Patienten unterscheiden sich mit ihren Werten nicht mehr von gesunden Menschen. Bei Typ-2-Diabetikern kann man von einer Remission reden, wenn der Langzeitzuckerwert (HbA1c) zwei Monate lang unter 6,5 Prozent liegt, ohne dass der Patient Antidiabetika einnimmt. Um diesen Zustand zu erhalten, muss der Patient den geänderten Lebens- und Ernährungsstil beibehalten, der zur Remission geführt hat.

Was machen denn Menschen, die nicht übergewichtig sind und dennoch Ty-2-Diabetes haben? Abnehmen ist hier ja nicht die Lösung…

Für Typ-2-Diabetiker, die nicht übergewichtig sind, ist Insulin häufig auch das Mittel der Wahl. Oft ist bei solchen Patienten die Krankheit ähnlich wie bei Typ-1-Diabetikern ausgeprägt. Aber die artgerechte Ernährung kann bei diesen Patienten helfen, die Blutzuckereinstellung zu glätten. Hier gelten die gleichen Regeln.

Die 9 Regeln artgerechter Ernährung

  1. Essen sie zu jeder Mahlzeit Gemüse. Am Tag 500 Gramm sind ideal.
  2. Schlechte Fette drastisch einsparen. Wurst, Kekse, TK-Pizza, Pommes und Co. liefern ungünstige Transfettsäuren
  3. Deutlich weniger schnelle Kohlenhydrate essen. Meiden Sie Softdrinks, Kuchen und Süßigkeiten so weit wie möglich.
  4. Beilagen wie Kartoffeln, Nudeln, Reis reduzieren bzw. die Portionsgröße halbieren oder weglassen
  5. Mehr Hülsenfrüchte essen. Bohnen, Erbsen und Co. sollten als Eiweiß- und Ballaststoffquelle mehrfach die Woche auf den Teller.
  6. Genug Eiweiß aufnehmen. Besonders günstig sind pflanzliche Quellen wie etwa Nusskerne, Samen, Tofu, Tempeh oder Hülsenfrüchte. Fleisch sollte maximal 2-mal pro Woche vorkommen.
  7. Viel trinken. Unser Flüssigkeitsbedarf liegt bei etwa 30 Millilitern pro Kilo Körpergewicht. Ca. 800 Milliliter liefert die Nahrung, den möglichst über Wasser und zuckerfreie Getränke decken.
  8. Mit Alkohol geizen
  9. Esspausen einhalten. Versuchen Sie, zwischen zwei bis drei großen Mahlzeiten Pausen von 4 bis 6 Stunden zu legen.

Tipp: myFoodDoctorApp

Empfehlenswert für Menschen mit Diabetes, Adipositas und Bluthochdruck. Die Gesundheits-App unterstützt dabei, bessere Essgewohnheiten zu etablieren und Gewicht zu reduzieren. Eine artgerechte Ernährung kann dazu beitragen, den Blutzuckerspiegel zu regulieren, Krankheitssymptome zu lindern und sich rundum fitter und gesünder zu fühlen. Preis: ab 4,99 Euro pro Monat im Abo.