Diabetes bedeutet Verzicht in puncto Ernährung – dieses Gerücht hält sich hartnäckig. Doktor med. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes-Hilfe (DiabetesDE) und Arzt am Zentrum für Diabetologie in Hamburg Bergedorf, sagt, wie ein Diabetes-gerechter Ernährungsplan aussieht.
Gleich vorab: Sowohl Diabetes Typ 1 als auch Typ 2 sind chronische Erkrankungen, die durch die Ernährung nicht geheilt werden können. Eine sinnvolle Ernährung sowie eine Fitnessverbesserung können Sie aber die Entstehung des Typ-2-Diabetes verhindern und, wenn er dann doch entstanden ist, den Verlauf beeinflussen. Wenn er frühzeitig erkannt wird, können Betroffene bei regelmäßiger Bewegung und entsprechender Ernährung in den Anfangsjahren die Krankheit im Griff halten und zumindest eine Zeitlang sogar ohne Medikamente auskommen. Menschen mit Typ-2-Diabetes sollten vermehrt auf die Energiedichte ihrer Mahlzeiten achten, sonst kann das Gewicht leicht ansteigen und die Blutzuckerwerte können sich verschlechtern.
Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes gelten grundsätzlich die gleichen Empfehlungen für eine bewusste, ausgewogene Ernährung wie auch für Gesunde. Dann kann bei der grundsätzlich erforderlichen Insulintherapie eine stabilere Stoffwechsellage erzielt werden.
Ganz entscheidend ist meiner Meinung nach, dass sie auf den Einzelnen abgestimmt ist. Diese Abstimmung beginnt schon bei der Frage, ob nur ein Diabetes vorliegt oder noch eine andere Erkrankung wie zum Beispiel Bluthochdruck, da man in diesem Fall die Salzzufuhr zusätzlich reduzieren sollte.
Bei ansonsten gesunden Typ-2-Diabetikern hat sich die Mittelmeerkost als sinnvoll erwiesen, das heißt 40 bis 50 Prozent der Tagesenergie bestehen aus Kohlenhydraten, bis zu 20 Prozent aus Eiweiß und der Rest sind Fette. Es gibt aber durchaus auch Diabetiker, die mit weniger Fett oder weniger Kohlenhydraten erfolgreicher sind. Wichtig ist, dass man mit der jeweiligen Ernährungsstrategie dauerhaft zurechtkommt. Wenn ich gerne abnehmen möchte, kann eine Reduzierung von Fett oder Kohlenhydraten oder Eiweiß zum Erfolg führen. Ich rate bei einer Insulintherapie jedoch zu weniger Kohlenhydraten, weil dann auch die benötigte Insulinmenge geringer ist.
Ich halte es für sinnvoll, wenn man sich die Grundlagen mit einem Experten wie einem Ernährungs- oder Diabetesberater erarbeitet. Prinzipiell ist es ratsam, seine Essensgewohnheiten durchzugehen und beispielsweise ein paar Tage lang alles aufzuschreiben, was man isst und trinkt. Danach wird analysiert, was man sinnvoll ändern könnte.
Dazu kann man sich zum Beispiel an der Ernährungspyramide der Deutschen Gesellschaft für Ernährung orientieren, die mit verschiedenen Farbschemata nach dem Ampelprinzip arbeitet. Ich persönlich halte die Tellermethode für eine einfache und gut umsetzbare Methode. Dabei gilt: Bei jeder Mahlzeit sollte der Teller zu 50 Prozent mit Gemüse und/oder Obst gefüllt sein, zu 25 Prozent mit Eiweiß in Form von fettarmen Milchprodukten, magerem Fleisch oder Fisch, Eiern und Hülsenfrüchten, und zu 25 Prozent mit einer Sättigungsbeilage wie Nudeln, Kartoffeln, Reis und Getreideprodukten. Bei den meisten Menschen ist das Verhältnis eher umgekehrt.
Gewürze sind toll, um Speisen einen lebendigen Geschmack zu verleihen. Besonders, weil man dann weniger Salz „für den Geschmack“ benötigt, das als schlecht für den Blutdruck gilt. Und der ist bei vielen Menschen mit Diabetes häufig zu hoch. Gewürze können den Diabetes aber ebenso wenig beeinflussen wie Mineralstoffe oder Vitamine. Es heißt zwar immer wieder, dass Vitamin D sich positiv auf den Diabetes mellitus auswirkt und tatsächlich haben Menschen mit Diabetes oft einen niedrigen Vitamin D-Spiegel, den man mit Sonne oder Gabe von Vitamin D-Präparaten erhöhen sollte. Aber es gibt keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Einfluss des Vitamins hinsichtlich der Prävention und des Verlaufs der Diabeteserkrankung.
Sich langfristig sinnvoll zu ernähren gelingt nur mit Ernährungsformen, bei denen man sich nicht quält. Es geht bei der Diabetes-Ernährung nicht um Verbote, Menschen mit Diabetes brauchen nicht auf bestimmte Lebensmittel oder ganze Nahrungsmittelgruppen zu verzichten. Es ist vielmehr wichtig, dass man in angemessenen Größenordnungen isst und sich realistische Ziele setzt, sonst ist man am Ende nur frustriert. Ich persönlich halte es für motivierender und leichter umsetzbar, wenn es einem Patienten gelingt, in einem Jahr dauerhaft ein bis zwei Kilo abzunehmen, als gleich 50 Kilo weniger anzupeilen. Kleine Schritte führen zum Erfolg.
Apropos Schritte: Ohne Bewegung geht es nicht. Die geforderten 10.000 Schritte am Tag lassen sich häufig im Alltag nicht umsetzen. Ich empfehle daher 3.000 Schritte pro Tag für den Einstieg, später dann 4.000 bis 5.000. Wer nicht gut gehen kann, sollte Krafttraining machen, zum Beispiel mit dem Theraband.
Ja, es gibt keine Tabus, Ernährung ist aber immer eine Frage der Menge. Prinzipiell sind die gleichen Mengen Alkohol für Menschen mit Diabetes in Ordnung wie sie auch für Gesunde empfohlen werden, also zirka 12 Gramm Alkohol pro Tag bei Frauen (z. B. 0,3 Liter Bier oder 0,15 Liter Wein), 24 Gramm für Männer. Einheitliche Leitlinien gibt es hier aber nicht. Als Mensch mit Diabetes muss man zum Beispiel wissen, dass Alkohol in größeren Mengen bei einer Insulintherapie eine stärkere Unterzuckerung hervorrufen kann. Da zum Beispiel herkömmliches Bier mehr Kohlenhydrate enthält als trockener Wein, sollten Menschen mit einer Insulintherapie dies berücksichtigen indem Sie, je nach Menge des Alkohols, noch Kohlenhydrate zusätzlich essen, um der zuckersenkenden Wirkung des Alkohols vorzubeugen. Bei Genuss größerer Mengen Bier kann sogar zusätzlich eine Insulinabgabe ausnahmsweise erforderlich sein. Jeder Mensch mit Diabetes sollte eine strukturierte Diabetesschulung besuchen, hier wird individuell über diese wichtigen Aspekte gesprochen.
Auch bei Süßigkeiten gelten die regulären Empfehlungen der WHO: 25 Gramm Zucker pro Tag, also rund acht Stückchen Würfelzucker, oder, nicht ganz so streng, zehn Prozent der Tagesenergiemenge. Das trifft auch beim Diabetes zu. Menschen mit Diabetes dürfen reinen Zucker essen, man muss sich nur bewusst machen, was man über den Tag zu sich nimmt und wissen, wie man das jeweils mit Medikamenten abdeckt.
Zwischenmahlzeiten sind nicht notwendig. Wichtiger ist, dass man frühstückt. Ich halte es für ungünstig, wenn man diese Mahlzeit ausfallen lässt, weil man dann dazu neigt, mittags und abends mehr zu essen, was sich entsprechend im Blutzuckerspiegel abends und über Nacht niederschlägt.
Es gibt Apps für Gerichte aus bestimmten Regionen und ich rate meinen Patienten grundsätzlich, sich bei Reisen vorab über die Lebensmittel und Speisen des jeweiligen Landes grob zu informieren. Natürlich weiß man bei Mahlzeiten, die man nicht selbst zubereitet, nie die genaue Menge an Kohlenhydraten, die in ihnen stecken. Dann muss man schätzen, was in manchen Ländern schwierig ist. Bei chinesischen oder thailändischen Gerichten sind die Soßen zum Beispiel oft sehr kohlenhydratreich und auch in Dänemark stecken in vielen Lebensmitteln Kohlenhydrate, von denen man es nicht erwarten würde, beispielsweise in Wurst.
Das sollte einen aber nicht vom Reisen oder einem schönen Restaurantbesuch abhalten oder dazu verleiten, nur noch mit Küchenwaage aus dem Haus zu gehen. Man sollte vielmehr ausprobieren, schauen, wie der Körper reagiert und die Dosis beim nächsten Mal entsprechend anpassen.
Zum Frühstück eignet sich ein Müsli, bestehend aus einem großen Apfel, vier bis fünf Esslöffeln Haferflocken und einem Becher Joghurt. Mittags wären 250 Gramm Gemüse und jeweils 125 Gramm Fisch und Kartoffeln eine sinnvolle Kombination. Abends gibt es dann jeweils einen halben Teller Salat oder Gemüsesticks sowie Quark und Käse, dazu ein bis zwei Scheiben Vollkornbrot.
Wichtig ist, dass man ungefähr weiß, wie viele Kalorien man zu sich nimmt, besonders, wenn man abnehmen möchte. Wo man die einspart ist aber egal, wie Studien belegen. Es geht darum, einen Überblick zu bekommen. Dabei helfen Nährwertangaben auf der Packung oder Apps. Das Beste ist meiner Meinung nach aber eine individuelle Beratung oder die Teilnahme an einer Schulung, wie sie regelmäßig von Hausärzten und Diabetesschwerpunktpraxen angeboten werden. Dort lernt man meist spielerisch wie man sich als Mensch mit Diabetes ausgewogen ernährt – und wenn man mit Spaß lernt, bleibt das Gelernte auch besser im Gedächtnis.